Graus

Inzwischen gehöre auch ich zum Jet-Set. Mein Fußabdruck wird größer in Zeiten des zwingenden Schrumpfens. Doch wenn die Liebe woanders sitzt, abgesehen vom Bauch, Herz und Verstand, muss ich mir den Schuh eben anziehen und in den Flieger steigen!

Und große Schuhe kosten viel Geld. Leider habe ich diesen Schatz nach wie vor noch nicht gefunden. Vielmehr befinde ich mich auf seiner Suche. Ein wiedergefundener Freund schrieb vor gar nicht langer Zeit, dass er auf der eigenen Suche nach demjenigen sei, der das Geld erfunden habe, um ihn, weil er eben ständig dem Geld hinterherrenne, endlich zur Rede zu stellen und ihn nötigenfalls zu töten; wenn der Erfinder keinen plausiblen Grund für des Geldes Einführung darlegen könne.

Ich will mich dem anschließen, obwohl ich grundsätzlich nicht straffällig werden will.
Käme ich denn damit überhaupt weiter? Ich nehme nicht an, dass die Erfindung mit dem Tod des Erfinders vom globalen Markt zurückgezogen würde. Doch allein, ein Exempel zu statuieren…

Ich fliege nun also öfters von Berlin nach Köln und wieder zurück und habe mir, durch die Hilfe meiner heißen Frau, einen Stadtbilderklärer-Job per Rad in Colonia Claudia Ara Aggrippinesium (Köln) ergattern können. Jetzt muss ich nur noch beweisen, dass ich die Gäste unterhalten und informieren kann. Dann bin ich Führer in zwei Städten. Aber Ambitionen, ein Imperium zu führen habe ich nicht! Keine Bange.

Aber schon allein in zwei Städten präsent zu sein, stellt ein großes Problem dar. Wenn dann noch ein spanisches Dorf hinzu kommt, wird es finanziell sehr übersichtlich. So ist aus dem Jetset zwischen B und K auch noch ein Graus geworden. Im Moment dieser Wortfindungen, sitze ich in einem Café voller Kindergeschrei, in einem Städtchen mit eben dem Namen Graus; in Nordspanien, 50 Kilometer von der französischen Grenze entfernt und werde noch weitere vier Nächte in diesem pittoresken Ort verweilen.

Aber vielleicht sollte ich etwas chronologischer vorgehen:
Am 22.04. sind wir zwei Verliebten sehr spät von TXL nach CGN gejettet, aber leider ist die letzte S-Bahn in ihr Kölner Bett schlicht ausgefallen „…Gleis 2, S13 Richtung Hansaring, um 23:34h fällt aufgrund von Bauarbeiten aus!…“, woraufhin sich die Bettung mit Bier und allerlei Neben-Organisation bis weit nach ein Uhr hinzieht. Schlimmer Kater.

Am 23. meine erste Tour und danach Besprechung bei meinem neuen Kölner Auftraggeber, inklusive neuer Kollegen. Natürlich mit einigen schlauen Bemerkungen meinerseits, denn ich bin ja Profi! – und wieder mit viel Bier. Die nachfolgenden, inzwischen schon allabendlichen, Kölsch mit meiner Liebsten führen allerdings dazu, dass wir den, für den 24ten am Kölner HBF, als spätest berechneten Ankunfts- als Abfahrtstermin deuten. So könnte mir die Fähigkeit der Zeitkrümmung – Einstein ist widerlegt! – vielleicht doch noch den Nobelpreis einbringen?

Dieser heilsvollen Fähigkeit allerdings unheilsvoll unbewusst, nehmen wir den wundersamen Zeitgewinn, der sich mir just an der Bahnhofsuhr auftut – „schau‘ doch Mal, wie viel Zeit wir jetzt auf einmal haben!“ -, um uns als Fels inmitten der von allen Seiten auf uns zu brandenden Menschenmassen zu küssen. Mitten im Kuss lichtet sich allerdings der Katernebel und mir wird die unheilsvolle Deutung völlig bewusst. Doch nix mit Zeitkrümmumg!

„Lass‘ uns es doch wenigstens versuchen, den Flieger nach Spanien noch zu erwischen!“
„Oh Mann, wenn wir doch wenigstens schon eingecheckt hätten…!!“
Dies ist von ihr allerdings eine sehr schlaue, konjunktivische Bemerkung, weil ich nämlich just genau dies weder am Nachmittag noch bei Kölsch und Witz am Abend zuvor geschafft habe. Und es würde uns – jetzt im Nachhinein betrachtet – Unsummen von Geld gespart haben.

Die Bahnfahrt zum DUS ist also eine Fahrt zum Flughafen, sozusagen ins wissentliche ‚Verderben‘, den Flug nicht mehr erreichen zu können.
Nur bilden wir uns ein, wir könnten es noch schaffen. Bei Brötchen und Telefonaten mit verschiedenen Flughafeninstitutionen den Schalter doch noch bitte länger geöffnet zu lassen, kommt uns der Zug allerdings sehr geschwindigkeitslos vor. „Wenn der jetzt noch langsamer wird, kommen wir jedenfalls gar nicht mehr an den Schalter!“ Natürlich tritt ein, was wir beide ahnen, aber entschieden anders hoffen. Schalter zu, Boarding noch aktiv. Hey Conjunctivus irrealis: „Hätten wir bloß online eingecheckt!!!“

Zeit ist wirklich Geld. Vielleicht sollte mein Freund tatsächlich den Erfinder der Zeit jagen, dann hätte er auch gleich den Geldgeier. Doch ‚hätten‘ bringt uns nicht weiter.
„Vielleicht soll es einfach so sein und wir machen uns ein paar schöne Tage in Köln. Immerhin haben wir die Freundesanfrage, das Häuschen mit jungem Kätzchen zu versorgen.
Entspannt im mitgeliehenem Garten lümmeln und der Katze beim Wachsen zusehen;
bloß keine Hetze.“

Die sehr angenehme Frau an irgendeinem DUS-Schalter für Abfahrtszeiten-Verdreher, ist so freundlich, dass wir einfach einen Flug später nachbuchen MÜSSEN. Obwohl ich zuvor ein klares Statement abgebe: „Wir werden aber keinen weiteren Flug nachbuchen!“
Das WAR mein Credo während der bähnlichen Zubringung ins Verpassen.
Mein Geld soll bei mir bleiben! Dieser Überzeugung werde ich ohne bewusste Entscheidungsgewalt beraubt. Allein durch die Euphorie, die leuchtenden Augen meiner Angebeteten und das tiefe Verständnis der Frau hinter dem Schalter, die es schafft, Kirchenmäusen den letzten Käse zu stibitzen. Meine Frau würde niemals locker lassen!

Die schlappen 220 Euro mehr, plus die Versorgung für einen Tag am Flughafen, reißen extrem tiefe Löcher in unsere ohnehin schmal bemessenen Reisekässchen.
Lasst es Euch gesagt sein: Flughäfen sind Apotheken mit zehn potenziert, und das ist nicht übertrieben. Es lässt sich eine Woche wunderbar zuhause leben, für einen Tag Urlaub auf einem Flughafen, an dem nur das zum Überleben Notwendige konsumiert wird.

Durch die enorme Sensibilisierung für Startzeiten – denn nochmals eine Ankunfts- als Startzeit zu verwechseln, würde uns beide total ruinieren – sitzen wir eine Stunde zu früh vor dem Boarding Counter, hinter dem sich der schon sieben Stunden zuvor begehrte Einlassrüssel befindet und versüßen uns die Wartezeit mit allerlei Teuerbier aus der Flughafenapotheke, wovon ich gar noch einige in den Flieger mitnehme. Merkt ja keiner im Handgepäck, denke ich.

„Sie dürfen kein Fremdbier in 8000 Metern trinken!“ „Entschuldigung, das wusste ich nicht“, stelle ich mich dumm, „es ist doch gleich ausgetrunken, verzeihen Sie bitte!“ Man muss freundlich sein, das hilft, um offensichtlich begangene Schieflagen ganz leicht auszubügeln. Fast alle fallen darauf herein. Nur ich nicht. Ich bilde mir zumindest ein, mir nichts vormachen lassen zu können.

Aber die Reise, mithin die Mehrausgaben, die dieser Urlaubstag auf DUS fordert, ist beileibe noch nicht zu Ende, wenn wir in BCN gelandet sein werden. Nein, nein.
Unsere Destination liegt in der pyrinäischen Pampa. Das bedeutet: nach BCN mit dem Taxi zum innerstädtischen Busterminal zu rasen, um gerade noch den letzten Bus dorthin erwischen zu können. Dieser kommt, so er den Fahrplan einhalten kann, nach dreieinhalb weiteren Stunden in einem Provinznestchen an, von wo wir dann von der Freundin meiner Frau abgeholt werden, um dann nochmals 35 Minuten zu ihrer Finca zu fahren; inklusive Fahrzeugwechsel, um die fünf Minuten Off-Road-Piste bewältigen zu können.

Kein Bier im Bus erlaubt, da keine Toilette vorhanden. Doch, natürlich ist es erlaubt, aber Mann und Frau können während der Fahrt nicht austreten, denn es gibt keine Toilette. Nun ja, vorhanden ist sie schon, aber abgeschlossen, weil sich diese spanische Busgesellschaft offensichtlich keinen Putzdienst leisten will oder kann.
Krisengebeutelt? Zu fein? Sadisten? Egal, Bustoilettenbenutzung verboten!

Abreise Köln 8:23h Ankunft beim Urlaubsbett: 01:44h, total erledigt!!!

Abflug BCN am 29.04., Ankunft DUS 21:57h. Mit den Öffentlichen, drei Trolleys nach Köln Innenstadt, Schlüssel des Katzenhauses aus dem heimischen Briefkasten holen und sodann wieder mit allem Gepäck und zusätzlicher Laptoptasche wieder mit Hilfe der Öffentlichen in diesen Vorort Kölns zu fahren, in dem die zu behütende Katze wohnt. Die Katzenbesitzer wähnen ihr Baby sicher umsorgt. Nächster Morgen, meine erste Kölntour.

Und was war dazwischen in Spanien?
Erholung? Urlaub? Entspannung?
Nein, nichts davon. Eine dufte Party unter einem eigens aufgespannten Rettungsschirm, eiseskalte Nächte mit für uns beide prächtig wachsenden Rückenschmerzen und den mehrmaligen Versuchen, diese durch privat gebuchte Krankengymnastik zu lindern. Bedingt erfolgreich, eher zweifelhaft, dafür teuer.

Und doch: ich habe viel Neues gesehen, wunderbare Menschen kennengelernt, jede Menge Calçots verspeist und meine Frau beglückt.