Es klopft, nicht laut, aber für jemanden, der vermeintlich unter Schlafstörungen leidet, laut genug, um aufzuwachen. „Guten Morgen, bitte setzen Sie sich so hin, wie gestern Abend, als ich Sie verkabelt habe.“ „Hmmm…“
Natürlich tat ich, was die äußerst freundliche, kleine und so zu benennend: rubens-artig gestaltete Frau von mir verlangte. Ohne aus den Augen schauen zu können.
Das Gefühl von vor 23 Jahren stellte sich sofort wieder ein. Damals, als ich in Mannheim im Krankenhaus lag und ebenfalls jeden Morgen resolut und katholisch bestimmt durch einen kräftigen Guten-Morgen-Gruß und den unbarmherzigen Anschaltvorgang der Beleuchtung aus meinen Träumen gerissen wurde.
Doch Anno 1991 war mein Schlafverhalten dem Alter angemessen.
Dieser Entsprechung entledigte ich mich schleichend und so habe ich mich vor einiger Zeit auf die Suche nach dem Grund begeben.
Älter zu werden, mag durchaus bedeuten, weniger Schlaf zu benötigen, Doch kann es wirklich im Sinne der Erholung sein, jeden Morgen zwischen 4:25h bis 6:35h zu erwachen, ohne dass der Körper die Zeit der eigenen Bettung in Relation zur der des Erwachens setzt?
Topfit und hellwach für kurze Zeit, fühle ich bereits nach Minuten eine zerstörerische Mattig-, Erschöpflich- und gesteigerte Reizbarkeit von meinen Knochen in meinem Hirn kriechen.
Damit entsteht eine Situation, die gemeinhin als demotivierend bis total motivationslos bezeichnet werden kann. Wer von somnambulen Wolken betroffen war und ist, wird verstehen können, dass ein Nicht-motiviert-sein, kein Zuckerschleck ist und jegliche Pflicht, die ohnehin keine Kür darstellt, zur reinen Aufgabe werden muss, deren Erfüllung zur Pein mutiert.
So ergeht es ohrenscheinlich meiner wunderschönen Frau zur Zeit. Doch sie erstrahlt dagegen im imsomnischen Stadium des reinen Existierens zu literarisch ungeahntem Glanz:
„… wir kehren nicht alles über einen Schamm, nicht wahr mein Schatz…!“
Das wirklich Interessante an ihren unbewussten Kreationen ist, dass sie sie selbst stets vor mir entlarvt und sich dann darüber schlapp lacht. Doch auch die Angst lacht in ihr mit, sie könne die Fähigkeit des freien Sprechens durch ihr schlafdefizitäres Sein verlieren.
„Nein, meine liebste Königin, Königin der nicht-existenten Wörter.
Wir beide wissen, was Du meinst; und ich hätte sowieso gar nichts bemerkt.“
So erfreuen wir uns beide an der unstrukturierten Verknüpfung ihrer Synapsen!
Wenn ich mir jedoch vorstellte, über meinen vernuschelten Schnellsprech, noch zusätzlich mit einem verworrenen Kauderwelsch beeindrucken zu müssen, sobald ich denn nur erschöpft bin, dann könnten sich Menschen, die mir ihr Gehör wohlwollend zu lauschen geschenkt haben, verwirrt entscheiden abzuwenden.
Nicht jeder kann von einem Charme-Zuwachs profitieren, wenn er müde ist.
Nur eine kann das.
Im Schlaflabor zu Berlin, in der Nacht vom 24.03. auf den 25.03. des Jahres 2014,
war eine, wie sie sein sollte. Unruhig, ich war öfter erwacht und musste mich mit meinen Hörartikeln aus Der Zeit immer wieder in den Schlaf hören. Ablenken von unnützen Gedanken. Weg von meiner Getriebenheit, des unablässiges Wälzens von Befindlichkeiten. Der eigenen und über die anderer Personen. Ständiger Abgleich zwischen Ist und Soll. Was wird sein?
Das Wörtchen ‚wenn‘ hat doch gar nichts zu suchen in meinem Wortschatz!
Dieses kleine Wörtchen ‚wenn‘. Es ist fast immer (leider) mit der Benutzung des Conjunctivus zu gebrauchen. Dabei sieht es so schön und harmlos aus. Aber es steckt voller Tücke und kann durchaus auf fehlerhafte Entscheidungen verweisen.
Wer ‚wenn‘ also nach einem für Jemand zentralen Ereignis gebraucht, um diesem Jemand mitzuteilen, dass Etwas nicht eingetreten wäre, wenn Jemand genau das, was Jemand gemacht oder nicht gemacht hatte, eben nicht getan oder eben gerade getan hätte, dann macht sich die mitteilende Person (Wer) strafbar und wird nicht unter zehn Messerstichen durch Brust und Bauch mit anschließend kreisender Aufwärtsbewegung in den zugefügten Wunden bestraft!
Denn das sind genau die Schmerzen, die Jemand durch das vergangene – und daher nunmehr irreale – Ereignis zugefügt werden, wenn Jemand diesen bekackten Conjunctivus irrealis zu diesem tragischen Ereignis ertragen muss.
Solcherlei Gedanken kreisen also bisweilen innerhalb meines Hirns‘ und verleiden mir erstens des Schlaf und inzwischen zweitens das Wort ‚wenn‘.
Wie also wurde ich zum Zukurzschläfer, wo ich mir doch einst das immer nötige Pensum besorgen konnte? Genau das galt es in jener Nacht heraus zu finden.
Schlafmediziner glauben, sie könnten, nur wenn sie einen Menschen verkabelten (seht Ihr: wenn und dann Konjuntiv!), erfassen, wenn sie denn die Auswertung in den Händen hielten, wie dieser schlafe.
Das glaube ich aber nicht.
Keiner von diesen Medizinern hat mich je gefragt, wie es mir ginge, wie meine Matratze beschaffen sei, welchen Beruf ich mit welchen Wohlgefallen ausübte, ob ich mich als seelisch stabil bezeichnete, ob ich nach Norden oder Westen schliefe oder über einer Wasserader oder zu nahe an Steckdosen, mit dem Kopf oder den Füßen zu Tür…
Doch ich will nicht ungerecht sein, es geht hier wohl vermehrt um die Symptomatik selbst: Apnoen, Schnarchen, Unregelmäßigkeiten im Atmen, Beinbewegungen und dergleichen.
Dabei wird man auch noch beobachtet, wofür es tatsächlich noch einen Sticker an der Tür gibt: ‚Achtung Videoüberwachung!‘ Wird wohl für diejenigen angebracht sein, die vor lauter Lust vergessen haben, dass sie sich vielleicht in dieser Nacht Keinen ‚runterholen sollten.
So dachte ich mir also im Vorfeld: ‚Wenn schon Analyse, dann muss die ja auch authentisch sein‘ und brachte mir ein Bier mit zum beobachteten Schlaf. Ankunft um 20 Uhr, Bettruhe spätesten um 23 Uhr. Ab 20:45 Uhr Verkabelung.
Als ich allein war, bemerkte ich, dass die Kamera bereits lief, also war an ein unbemerktes Bier nicht wirklich mehr zu denken. Ich schmuggelte die Flasche aus meiner Tasche also direkt unter der Kamera vorbei zum Tisch. Auf diesem lag bereits eine alte Zeitung ausgebreitet, worüber ich sodann Fingernagelpflege betreiben, trinken und gleichzeitig lesen wollte.
Dort, hinter einer Tischpflanze und einer Flasche bereit gestellten Wassers verborgen, öffnete ich diese beherzt und goss den gelb-sprizigen Inhalt ins Wasserglas. ‚Wird schon niemand merken. Und wenn schon, es sollten ja reale Bedingungen sein!‘
Doch just beim letzten von fünf Gläsern und vorletztem Fingernagel, stieß ich das Glas um und der, wenn auch wenige, Inhalt ergoss sich über Tisch, Anamnese-Zettel und Boden.
So viel Bier in einem Raum, in dem niemals Bier sein sollte! Und jetzt stank auch noch alles danach!
Gleich würde die Rubensfrau kommen, um mich zu verkabeln. Verdammt. Nur Zeitung und Mineralwasser, um die Spuren der Realbedingung zu verwischen. Ich hatte noch zehn Minuten Zeit das Schlaflaborzimmer geruchsfrei zu bekommen
Die Zeitung war sowieso schon einen Tag alt und konnte durchaus als Putzlappen herhalten.
So war das Zimmer doch sauber und rein und inzwischen vom Durchlüften recht kalt, als es klopfte und ich mich die Rubensfrau aufforderte, mich auf die Bettkante zu setzen und die Arme leicht anzuheben.
Ich machte mir wirklich Gedanken um meine Bierfahne, die ich ja haben musste, wie auch um den Biergeruch im Zimmer, den dieses ja ebenso haben musste. Doch bemerken schien sie es nicht oder überging es weltfraulich und tat ihn als Begleiterscheinungen eines sonderlichen Patienten ab, von denen es vermutlich dann doch mehr geben musste als die gemeine Vorstellung bereithält.
Wuselige Handgriffe von Kopf bis an die Beine, schnell, versiert, professionell. Aber eben kurz, sowohl die Arme als auch die Person im Gesamten. Und immer erschien dieses Dekolleté vor meinen Augen.
„Sie machen es mir aber wirklich leicht.“ Fragt die Verkabelnde während sie mir gefühlte 17 mit kalter Kontaktpaste versehene Elektroden auf‘ Hirn pfropft?
„Inwiefern“, frage ich, den Mund möglichst geschlossen haltend, um den Biergeruch bei mir zu halten. Der Weg aus meinem Wund zu ihrer Nase wäre nicht weit gewesen, wenn schon das Dekolleté auf Augenhöhe ist.
„Na, bei Ihnen muss ich die Haare nicht zur Seite legen, um die Elektroden aufzukleben.“
Wer ist jetzt sexistisch, wer provoziert die gefürchtete, amerikanisierte sexuelle Belästigung herauf, die nicht einmal ausgeübt, einem Mann zum Verhängnis werden kann?
Mein Wunsch ist es nicht, in einen Ausschnitt schauen zu müssen, der nicht meiner Frau gehört. Also schließe ich die Augen.
Oder ist es also ihr Wunsch, klein gewachsen, Patienten einen vermeintlich reizenden Ausblick zu gönnen, um sie sodann auf den Aufkleber der Videoüberwachung aufmerksam zu machen, um demjenigen, den die Ritze in Augenhöhe, den durch quellende Brüste verbauten Busen, in Wallung bringt, eine phantastisch-lustvolle Erleichterung im Gegenzug wahrhaftig zu missgönnen?
Spartanisch, gute Matratze, Ikea-Tisch, schwere Vorhänge, alles auf den zu beobachtenden Schlaf ausgerichtet und die Kamera direkt gegenüber des Bettes, nahm also meinen gesamten Schlaf ins Bild.
„Machen Sie sich fertig, ich bringe Ihnen gleich Ihren gewünschten Cappuccino und die zwei Brioche; wenn Sie dann fertig sind, können Sie einfach gehen. Ein Arzt wird sich in dieser Woche telefonisch bei Ihnen melden und das Ergebnis mit Ihnen besprechen.“
Es ward ein schöner Morgen in einem Ikea-Hotelzimmer, bedeckt, aber entkabelt, mit kleinem Frühstück, dafür aber mit der außerordentlich wundervollen Aussicht, meiner Angebeteten in Airbusflügeln in aller Bälde persönlich zum Geburtstag gratulieren zu können.
Und dafür ist Schlaf nun wirklich nebensächlich.
Doch mir zuvor lag der lange Marsch über fünf Stockwerke hinab. Aufzüge versagen von Zeit zu Zeit.
Und der Arzt hat auch niemals angerufen.